2022: Reisen nach der Transplantation


Februar 2022: So, das Spenderherz wurde transplantiert und schlägt in meiner Brust! Es könnte nun eigentlich auch mit meinem "Reise-Leben 2.0" losgehen, aber einiges läuft leider immer noch nicht richtig rund: Herzrhythmus und Nieren machen Probleme. Seit Dezember 2021 hänge ich wegen eines chronischen Nierenversagens an der Dialyse. Zum Glück muss ich aber lediglich einmal pro Woche dialysiert werden. Rein theoretisch bedeutet das, dass ich knapp fünf bis sechs Tage am Stück mit dem Camper verreisen könnte. Zumindest Kurztripps in Deutschland oder in die direkt angrenzende Niederlande sollten möglich sein. Eine weitere Option wäre es, eine sogenannte "Ferien-Dialyse" mit entsprechender Vorbereitung bzw. Organisation in anderen Dialysezentren im In- oder Ausland machen zu lassen. 

 

Ich hoffe aber immer noch, dass ich irgendwann wieder ohne Dialyse leben kann. Wenn das alles nicht klappt, bleibt unser Reisemobil leider mehr oder weniger auf seinem Parkplatz vor dem Haus stehen. Oder wir werden uns von ihm trennen müssen, wenn mein gesundheitlicher Zustand Wohnmobilreisen dauerhaft unmöglich macht. Mal schauen...

 

Jede Menge Einschränkungen:


Transplantationspatienten haben (mindestens) ein großes Problem: Sie müssen bis zu ihrem Lebensende haufenweise Tabletten mit unerwünschten Nebenwirkungen schlucken, um u. a. eine Abstoßung des transplantierten Organs zu verhindern. Das bedeutet, dass das Immunssystem ganz bewusst dauerhaft stark geschwächt wird. Leider ist man dadurch aber auch sehr anfällig für Infektionen.

 

Vorsicht vor Erregern aller Art ist geboten: Sehr gute Körper- und Zahnhygiene, Verzicht auf viele Lebensmittel, entsprechend keimarme bzw. keimfreie Lebensmittelzubereitung, Kontaktvermeidung zu Tieren, Pflanzen und Erde, sowie entsprechende Vorsicht bei menschlichen Kontakten sind unter Umständen lebenswichtig. Man sollte als Transplantierter zwar möglichst keine Phobien entwickeln und das geschenkte Leben so gut genießen, wie es möglich ist, aber man muss halt generell schon sehr vorsichtig und auch konsequent bei der Medikamenteneinnahme sein. Das ist auf Reisen fast noch wichtiger als zu Hause, wo man viele Dinge besser kontrollieren und steuern kann.

 

Es klingt vielleicht besserwisserisch (das ist es auch, denn ich weiß es manchmal einfach besser 😉), aber jetzt folgen (noch)mal ein paar Hinweise und Fakten für die nicht ganz so gut informierten Menschen um mich herum: Ich riskiere mein Leben, wenn ich mich mit dem ein oder anderen Erreger infiziere. Und das ist zu Zeiten der kursierenden Corona- und Influenzaviren ganz besonders der Fall! Das Aufheben der Maskenpflicht (trotz einer bundesweiten Inzidenz von >500 Anfang Mai '22) in geschlossenen Räumen, wie Einkaufszentren, Lebensmittelgeschäften oder sogar in manchen Arztpraxen und Krankenhäusern (in Bayern) ist hochriskant und unter Umständen lebensgefährlich für mich. Da gilt der oft zu hörende Spruch "aber Omikron ist doch gar nicht so schlimm" in meinem Fall leider nicht. Für die aktuelle und im Vormarsch befindliche Omikron Variante BA.5 vielleicht erst recht nicht, denn meine dritte Corona Impfung war direkt vor der Transplantation und mein Schutz ist inzwischen entsprechend verringert. Ob ich bald eine 4. Impfung erhalten kann ist noch unklar, da Impfungen im ersten Jahr nach der Transplantation möglichst vermieden werden sollten.

 

Ich verstehe, dass gesunde Menschen es mittlerweile leid sind, mit Masken durch die Gegend zu laufen, aber vielleicht können einfache und örtlich/räumlich begrenzte Regeln wie Abstand halten und Maske tragen in manchen Einrichtungen, Geschäften, Praxen zum Wohle alter und immungeschwächter Menschen rein aus Solidarität fortgeführt werden, solange die Inzidenzen noch >100 sind. Aber das mit dem sozialen und verantwortungsvollen Verhalten anderen Menschen gegenüber scheint mittlerweile vorbei zu sein. Immer häufiger werde ich blöd angeschaut oder gar noch blöder angesprochen, wenn ich mit Maske Lebensmittel- und Einzelhandelsgeschäfte, Tankstellen, aber auch Campingplatzbüros oder deren Waschräume betrete. Scheinbar verstehen es scheinbar auch nur wenige, dass sie mein Leben auf's Spiel setzen, wenn zum Beispiel zum lustigen Beisammensein in geschlossenen Räumen eingeladen wird. Das gilt leider auch für einige Menschen im unmittelbaren Umfeld. Na, dann sind Andrea und ich halt nicht dabei - "dann ist das eben so!". Zum Glück gibt es aber ein paar kluge und verantwortungsvolle Menschen im Freundeskreis, die uns ganz selbstverständlich zu Treffen im Freien einladen, Abstand halten, Corona-Schnelltests machen oder ebenfalls Maske tragen und alles so organisieren (auch das Essen), dass wir trotz meiner Einschränkungen dabei sein können. Danke dafür!

 

 

Das muss ich jetzt beachten:

  • Trinkwasser und Zahnputzwasser ausschließlich aus (vorher geschlossenen) Flaschen verwenden - also nicht aus dem Frischwassertank des Wohnmobils. Keine Eiswürfel!
  • Obst und Gemüse nur geschält oder gekocht essen (Äpfel, Erdbeeren, Himbeeren, Tomaten vom Markt, Baum, bzw. Strauch sind auch nach dem Waschen tabu), ebenso Tiefkühlbeeren.
  • Bereits angerichtete Salate (Salatbar) sollte man nicht essen, auch Feldsalat und andere lose oder geöffnete Salatköpfe nicht. Das gilt auch für die Salatblätter zwischen Burgern von Schnellrestaurants!
  • Kein rohes Fleisch, kein roher Fisch, keine getrocknete und geräucherte Wurst verzehren.
  • Keine Nüsse, keine Samen, Sprossen und keine frischen Kräuter essen. Auch Gewürze müssen gekocht werden (keine Chips!).
  • Kein Schimmelkäse, keine Rohmilchprodukte, keine rohen oder weich gekochten Eier sowie nicht gekochte Eierspeisen, selbst gefertigte Mayonese, etc. verzehren.
  • Absolutes Verbot für Eis von der Eisdiele 😩. Nur industriell hergestelltes Eis ist verzehrbar.
  • Bei Arbeiten am Auto und im Garten bzw. der Natur immer Handschuhe tragen und Hände regelmäßig desinfizieren.
  • In geschlossenen Räumen (insbesondere seit es "Corona" gibt) möglichst FFP2 Maske tragen, Hände regelmäßig desinfizieren und möglichst ausreichend Abstand halten (letzteres verstehen auffallend viele Camper anscheinend gar nicht!).
  • Direkten Kontakt zu Hunden, Katzen und Vögeln, sowie die Nähe zu Mülleimern und Komposthaufen meiden.
  • Bestimmte Impfungen sind nicht mehr möglich.
  • Innenraumfilter und Klimaanlage des Fahrzeugs regelmäßig reinigen und warten lassen.
  • Und ganz wichtig: Immer ausreichend Medikamente (besonders die Immunsuppressiva) mitführen und Notfallrationen an mehreren Stellen verteilen (möglichst immer 2-3 Tagesrationen bei sich tragen, falls das Fahrzeug geklaut wird!).
  • Unbedingt direkte Sonnenstrahlen auf die ungeschützte Haut vermeiden. Das Hautkrebsrisiko ist für immunsupprimierte Menschen extrem erhöht! Man sollte möglichst lange Hosen, Langarmhemden und Hut tragen. Freie Hautstellen (beim Autofahren auch an die Handrücken denken) sollten regelmäßig mit Sonnencreme mit sehr hohem Lichtschutzfaktor eingecremt werden. Ich benutze ISDIN Eryfotona AK oder EUCERIN Actinic Control mit einem Lichtschutzfaktor von ca. 100! Beide Cremes ziehen relativ schnell ein und kleben nicht.

 

Was versteht man unter einer Immunsuppression?  

 

Wird das körpereigene Immunsystem unterdrückt (z. B. durch Krankheit, Stress oder Medikamente), sodass es nicht mehr richtig arbeiten kann, spricht man von Immunsuppression. Je nach Ausmaß sind die Abwehrkräfte dabei nur geschwächt oder sogar völlig außer Kraft gesetzt. Wer verstehen möchte, wieso eine Immunsuppression sowohl unerwünscht als auch gewollt sein kann, muss zuerst verstehen, wie das Immunsystem funktioniert. Ich möchte mir nämlich keinen Erreger einfangen, den mein Abwehrsystem nicht bekämpfen kann - auf der anderen Seite aber auch keinesfalls mein, vom Immunsystem als Fremdkörper angesehenes Spenderherz "verlieren" (netter Euphemismus für den Tod).

Anfang Mai im Nationalpark Hainich


Es war eigentlich klar, wo die erste Reise nach dem langen Krankenhausaufenthalt hingeht: Nach Thüringen in den Nationalpark Hainich, nördlich von Eisenach. Bärlauchblüte im Mai! Ich kenne diesen Rotbuchen-Wald, den ich direkt nach dem Mauerfall zum ersten Mal besucht hatte, mittlerweile sehr gut. Immer wieder bin ich gerne dort und genieße die Ruhe und die Artenvielfalt. Der Hainich ist für mich ein Ort, der mir richtig gut tut und Kraft gibt. Endlich gab es meine erste Wanderung seit mehr als einem Jahr - naja, es war eher nur ein längerer Spaziergang auf wackeligen und schmerzenden Beinen - aber immerhin! Schon klasse, dass ich wieder durch die Gegend laufen und den Vögeln zuhören kann.

 

Hainich Bärlauchblüte 2022

Ende September: Besuch bei den Kranichen in Schweden !


Vor genau einem Jahr wollte ich Kraniche beobachten und wurde dabei bereits am ersten Tag jäh unterbrochen 😉. Das letzte Jahr war wirklich nicht einfach und hat viel Kraft und Nerven gekostet, aber so langsam geht es aufwärts. Das Spenderherz schlägt dank Schrittmacher einigermaßen kontinuierlich und seit ein paar Monaten hänge ich auch nicht mehr an der Scheiß-Dialyse. Klingt nicht nur nach der kleinen Freiheit - das ist sie! Endlich kann ich mal länger als ein paar Tage weg von der Heimat und den Ärzten. Wir entschieden, nach Schweden zu fahren. Andrea und ich wollten den ersten Jahrestag nach der Transplantation gerne mit Kranichen verbringen und das ist uns wirklich gut gelungen: In wenigen Tagen haben wir an zwei Rastplätzen weit über 30.000 Kraniche gesehen. Und nicht nur das: Am 30.09.22 waren wir Augenzeugen eines gigantischen Vogelzugs in Südschweden. An diesem Tag wurden genau an unserem Beobachtungspunkt Nabben in Falsterbo ganz offiziell mehr als 510.000 Zugvögel bei 75 Arten gezählt. Das war auch für die schwedischen Berufsornithologen ein absolutes Highlight. In meinem langen Hobbyornithologenleben habe ich noch nie so viele Vögel "auf einmal" beobachten können. Blogartikel: Vogelzug in Südschweden

 

Kraniche, Schweden 2022
Kraniche, Schweden 2022