Schon als Kind und Jugendlicher litt ich häufig unter starken Muskel- und Gelenkschmerzen und schon recht früh wurde damals zwar "Rheuma" diagnostiziert - der "Systemische Lupus Erythematodes" als Autoimmunerkrankung war jedoch selbst unter Rheumatologen noch nicht so richtig bekannt. Nach dem Abitur hatte ich dann jedoch zum Glück einige Jahre, in denen ich relativ schmerzfrei und körperlich erstaunlich belastbar war. Besonders begeisterte mich damals der Radsport: Bis 300 Watt Dauerleistung waren möglich und wöchentlich wurden ca. 300 - 400 Trainingskilometer abgespult. Ich war richtig fit - es war super! Im Frühjahr 1999, mit Mitte Dreißig, ging aber plötzlich von heute auf morgen nichts mehr: Starke Luftnot, schnelle Herzrhythmusstörungen und extreme Kraftlosigkeit warfen mich im wahrsten Sinn des Wortes aus dem Sattel. Ich bin zeitnah zum Hausarzt gegangen und kam von dort nach dem ersten EKG direkt mit dem Krankentransport in ein kardiologisches und (zum Glück auch) rheumatologisches Zentrum, in dem ich dann fast drei Monate am Stück verbrachte. Das "alte Sportler-Leben" war ab diesem Zeitpunkt mit Mitte dreißig vorbei!
Ich habe über 23 Jahre lang mit meinem kranken und zuletzt riesigen Herz gekämpft - nein, eigentlich hat es für mich gekämpft und unglaublich lange durchgehalten! Aber zum Schluss konnte es einfach nicht mehr...
Es sah im Sommer '21 für mich so aus, dass ich zeitnah wohl kein Spenderherz erhalten würde - mir ging es es zwar total beschissen, aber meine "medizinischen" Voraussetzungen waren noch nicht entsprechend mies genug und die Verfügbarkeit passender Spenderorgane war schon länger sehr schlecht. Ich rechnete daher am ehesten mit einem BiVAD-Pumpunterstützungssystem oder sogar einem echten Kunstherz (TAH), wobei beides für mich aber eigentlich keine akzeptable bzw. vorstellbare Lebensführung bedeutet hätte.
Dann klingelte jedoch Ende September während einer Wohnmobilreise nachts um 2:00 Uhr das Handy. Kurz zuvor war ich auf dem Parkplatz einer Teichlandschaft 60 km westlich von Berlin neben ca. 3000 Kranichen im Wohnmobil eingeschlafen. Zuerst wollte ich gar nicht ans Telefon gehen, da es eine mir unbekannte Mobilnummer war. Gut, dass ich es mir anders überlegt und das Gespräch angenommen habe!
Es war das Herz- und Diabeteszentrum Bad Oeynhausen (HDZ-NRW): "Herr Rüblinger, wir haben ein Herz für Sie!" ... längere Pause ... "Ähm, aha, ok. Ich will nur mal kurz meine Frau anrufen und dann melde ich mich in drei Minuten nochmal bei Ihnen, um alles Weitere zu besprechen!" Andrea war natürlich genauso geschockt und überrascht wie ich, aber es war uns beiden klar, was dieser Anruf bedeutet! Wir hatten Monate zuvor alles besprochen und geklärt. Dann ging es sehr schnell: Mit einem Krankenwagen (oder einem Hubschrauber) wollte ich eigentlich nicht transportiert werden - ich war fern der Heimat allein mit dem Wohnmobil unterwegs und das wollte ich nun wirklich nicht am Teich zurücklassen! Zum Glück war der nette Transplantationskoordinator unheimlich "flexibel" (Dankeschön für das Vertrauen!) und ließ mich mit dem Wohnmobil die knapp 370 km direkt zum Herzzentrum fahren. Selbstverständlich und üblich war das allerdings überhaupt nicht - Patienten fahren eigentlich nicht persönlich zu ihrer eigenen Transplantation. Obwohl ich hochkonzentriert und klar im Kopf war und absolut sicher fahren konnte, war es doch die wohl skurrilste Autofahrt meines Lebens! Und das bei sehr schlechten Wetterbedingungen: Es war entweder dichter Nebel, oder es regnete in Strömen. Zum Glück hatte ich Andrea regelmäßig am Telefon (keine Bange: Freisprechanlage!), ohne die ich kurz vor dem Ziel sogar noch in eine Autobahnvollsperrung geraten wäre. Ankunft dann wie vereinbart: Punkt 6:00 Uhr. Logo, ich bin immer pünktlich - warum sollte es diesmal anders sein? 😉
Irritierend gelassen und ruhig!
Ich parkte das Wohnmobil auf dem Besucherparkplatz des Herzentrums und räumte doch tatsächlich noch das Auto auf. Typisch für mich - man weiß ja nicht, ob man nochmal zurück kommt und was sollen dann die Leute denken, die das Fahrzeug abholen, wenn sie ein unordentliches Wohnmobil vorfinden! Die Situation beim Anmelden in der Patientenaufnahme war auch recht seltsam. Schon komisch, wenn man sich selbst zur eigenen Herztransplantation anmeldet, die wenige Stunden später stattfindet. Als alle Formalitäten erledigt waren, fuhr ich im Aufzug in den dritten Stock zur Operations-Vorbereitung. Hier entstand vor der Spiegelwand auch das letzte Foto mit meinem eigenen Herzen in der Brust. Es war wirklich erstaunlich, wie entspannt und ruhig ich vor der Operation war. Vielleicht habe ich auch nur noch funktioniert. Etwa acht Stunden später wurde mein eigenes Herz - ich nenne es jetzt das "alte Herz" - im Müll entsorgt. Ich habe tatsächlich ein Bild mit einem Abfalleimer vor Augen, wenn ich mir das vorstelle, denn der Chirurg sagte nach der Operation zu Andrea, dass das Herz "riesengroß und sehr krank" gewesen sei. Für die Tonne halt ... alles irgendwie unglaublich!
Um 9:00 Uhr ging es ganzkörperrasiert in den Operationssaal und gegen 15:30 Uhr hatten die Ärzte meinen Brustkorb wieder zugenäht. Die Operation verlief wohl nicht ganz so einfach und gegen Ende der Transplantation mussten sich die Ärzte beeilen, da ich zu wenig Sauerstoff im Hirn hatte. Es ging aber anscheinend alles ordentlich zu Ende. Lediglich zwei alte Defibrillator-Sondenstücke verblieben in einem Gefäß - es fehlte die Zeit, sie noch sicher zu entfernen. Aus der Narkose wollte ich dann jedoch fast eine Woche lang nicht richtig aufwachen. Als ob ich geahnt hätte, was da auf mich zukommt ...
Neben einer Matschbirne und Schmerzen hatte ich Ödeme über den ganzen Körper verteilt, ein akutes Nierenversagen, "schlechte" Blutwerte, Erinnerungslücken, Wortfindungsstörungen, lange eine lallende Aussprache, Konzentrationsprobleme sowie eine unglaubliche Kraftlosigkeit und Müdigkeit. Irritierend waren die ersten 10 Tage anhaltenden ausgeprägten visuellen, olfaktorischen und akustischen Halluzinationen. So ähnlich müssen wohl LSD-Trips sein: Ich sah alles bunt, konnte Bilder aufrufen und verändern, wie es mir gefiel und ganze Filmsequenzen als Regisseur bestimmen. Alles roch und schmeckte nach dem Gemüse Romanesco - das war meine erste Mahlzeit nach der Narkose. Unabhängig davon, was ich tatsächlich in der Nase hatte (Desinfektionsmittel, der Geruch einiger Pfleger:innen oder der Essensgeruch) - es roch nach Romanesco. Egal was ich gegessen oder getrunken hatte - es schmeckte nach Romanesco. Ganz schlimm waren aber die akustischen Täuschungen, also das, was ich meinte zu hören, obwohl einfach nichts zu hören war: Rund um die Uhr, also wirklich von morgens bis abends habe ich das Lied "Ich liebe das Leben" von Vicky Leandros als Dauerschleife im Kopf gehabt. Dass es gerade dieser Titel war, ist ja schon irgendwie verrückt! Freiwillig hörte ich das Lied in der Vergangenheit nie, ich wurde aber zu Hause wenige Wochen vor dem Eingriff regelmäßig von meinen Nachbarn damit (und mit anderen fürchterlichen Liedern) lautstark jeden Abend pünktlich um 19:00 Uhr beschallt, die mit diesen Songs gegen das Coronavirus auf der Straße "ansangen". Es hat mich im Krankenhaus bald verrückt gemacht, das Lied ständig "zu hören" und ich dachte tatsächlich sehr lange, dass alle Menschen (inklusive Andrea) um mich herum ein echtes Problem mit ihren Ohren hatten! Nach etwa einer Woche war der Spuk mit den Farben, dem Romanesco-Gemüse und Vicky plötzlich vorbei! Erstaunlich, was Narkosemittel und hochdosiertes Kortison im Gehirn anrichten können.
Dass der Weg nicht leicht wird, war mir schon bewusst, aber dass es so mühsam und frustrierend verläuft, hatte ich mir nicht vorstellen können. Auch nicht, dass ich nach der Transplantation noch so lange im Krankenhaus liegen würde. Leider haben sich viele Symptome und Blutwerte auch im Mai '22 nach sieben Monaten nicht wesentlich verbessert. Manche Probleme sind schlimmer geworden, neue kamen hinzu - teilweise auch als Nebenwirkung einiger Medikamente. Aber trotz aller Unzufriedenheit und Meckerei über meinen Zustand muss ich feststellen: Ich lebe - und das ist ja auch nicht schlecht!
Monatelang mehr oder weniger durchgehend liegend im Krankenhaus zu verbringen, ist echt beschissen - vor allem, wenn der körperliche und psychische Zustand ebenfalls beschissen ist. Das einzige Highlight des Tages (natürlich neben den vielen Besuchen von Andrea!) war das Essen - wenn ich überhaupt mal Appetit und Hunger hatte. Wenigstens war die Qualität nach meinem Geschmack für Krankenhauskost (und ich kann vergleichen!) recht ordentlich. Essen ist in diesem Zustand enorm wichtig, denn lediglich das Gesicht, der Nacken und die mit Wasser eingelagerten Füße und Hände sind total dick und aufgedunsen, der Rest des Körpers besteht nur noch aus Haut und Knochen. Die Muskeln sind vom langen Liegen nahezu weg. Besonders das Kortison trägt dazu bei, dass man echt "scheiße aussieht". Den ersten Blick in den Spiegel vergisst man nicht, wenn man plötzlich einen dicken Hamster erblickt!
Der Klinik-Alltag war wirklich nicht sonderlich angenehm: Ich hatte starke Schmerzen, war total verkabelt und hatte überall Schläuche im Körper. Dazu völlig kraftlos und extrem müde. Toilettengänge "gingen" nicht - es blieb nur Bettpfanne und Urin-Ente. Richtig anstrengend (obwohl ich bewegungslos im Bett lag) war die Dialyse, die über Wochen quasi täglich durchgeführt wurde. Es gab auch viele unangenehme und anstrengende Untersuchungen, dauerhaft piepsende und blinkende Geräte im Zimmer und ein immer zu weit vom Bett entfernter Nachttisch, auf dem das unerreichbare Wasserglas stand. Der Fernseher funktionierte nicht richtig und vom Reinigungspersonal wurden zweimal täglich meine Hausschuhe mit dem Wischmop so weit unter das Bett geschoben, dass ich nicht mehr dran kam. Ich glaube ja, dass das Absicht war! 😉
Ziemlich blöd finde ich, dass ich als Folge der Operation vorübergehend ein akutes Nierenversagen hatte und dann wegen einer chronischen Niereninsuffizienz dialysepflichtig wurde. Das ist leider eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität und der Mobilität - da wird u. a. auch das Reisen recht schwierig oder gar nicht mehr möglich sein. Der 13 cm lange Demers-Dialysekatheter in der Brust ist sehr unangenehm - man bleibt ständig irgendwo hängen und er macht Baden und Duschen nahezu unmöglich.
Aber ich bin trotz der vielen Rückschläge (Aszites, Schrittmacherimplantation, Gallenblasenentfernung, Vorhofflimmern mit mehreren erfolglosen Kardioversionen, Synkope mit Platzwunden und HWS-Problemen, Dialyse, Dauerkatheter-Implantation, immer wieder auftretende Ödeme, Polyneuropathien und Tremor, sowie viele "schlechte" Blutwerte und allerlei Medikamenten-Nebenwirkungen) noch durchaus positiv eingestellt und hoffe, dass mein Zustand irgendwann mal wieder etwas besser wird! Es wird sich zeigen, wie es weitergeht, aber immerhin geht es momentan noch weiter. Und darüber bin ich froh, obwohl alles körperlich sehr anstrengend und psychisch belastend ist. Mein eigenes Herz, also das "alte", würde wohl heute nicht mehr in mir schlagen. Dank eines Organspenders oder einer Organspenderin übernimmt diese Aufgabe jetzt das "neue" ...
Apropos Essen: Neben der notwendigen täglichen Biomasse in Form von Lebensmitteln ernährt man sich als HTX-Patient auch noch von reichlich Chemie. Zur Zeit sind es zwischen 15 und 18 verschiedene Wirkstoffe - je nach körperlicher Verfassung und in Abhängigkeit der Blutwerte. Mahlzeit!
Drei Monate auf der Transplantationsstation:
Ich bin ja leider ein erfahrener Krankenhauspatient und weiß seit über zwei Jahrzehnten recht gut, was Ärztinnen und Ärzte und vor allem das Pflegepersonal leisten, aber das, was ich im Herzzentrum auf "meiner" Station B4 im HDZ Bad Oeynhausen monatelang erlebt habe, hat mich doch sehr beeindruckt! Hier wurde unglaublich tolle Arbeit abgeliefert und das trotz der enormen Belastung durch "Corona", des allgemeinen Klinikpersonalmangels und natürlich der "normalen" täglichen Aufgaben auf der Station. Ich bin wirklich dankbar und froh, dass so viele engagierte Menschen sich dermaßen professionell und freundlich um die Patienten kümmern. Und einige haben sich sogar trotz des stressigen Jobs öfters mal Zeit für Gespräche über die persönlichen Probleme und Sorgen der (bestimmt nicht immer "einfachen") Patienten genommen. Ein wirklich beeindruckendes Team auf der Station und natürlich auch in der HTX-Ambulanz - Danke!!!
Herztransplantation in Deutschland
Eurotransplant-Vorgehensweise: "Sobald ein Spender gemeldet wird, bestimmt Eurotransplant mit Hilfe eines komplexen Computerverfahrens für jedes verfügbare Organ eine Matchliste. Vier allgemeine Prinzipien sind für die Zuteilung von Bedeutung: der erwartete Erfolg nach der Transplantation, die durch Experten festgelegte Dringlichkeit, die Wartezeit und die nationale Organaustauschbilanz. Das zu erwartende Ergebnis nach der Transplantation wird unter anderem anhand der individuellen Merkmale von Spender und Empfänger vorhergesagt. Die Mitarbeiter in der Zentrale von Eurotransplant bieten das Spenderorgan dem Transplantationszentrum des am höchsten gelisteten Patienten auf der Warteliste an. Zur Sicherheit erhält auch das Transplantationszentrum des zweitgelisteten Patienten ein unverbindliches Angebot. Nach der Annahme des Organs durch den behandelnden Arzt werden die Entnahme und des Transport des Organs organisiert." (Text-Quelle: Eurotransplant)
März 2022
Die Ärztinnen und Ärzte sagen jetzt - nicht ganz sechs Monate nach Transplantation und mit einer aktuellen Organ-Abstoßungsreaktion - ich müsse weiterhin Geduld haben. Manchmal dauert es länger als ein Jahr, bis man als Herztranplantierter wieder einigermaßen fit wird. Aktuell wurde erstmal die Immunsuppressiva-Dosierung ordentlich erhöht, um die Organabstoßung zu verhindern. Blöderweise nehmen dadurch auch die teilweise recht unangenehmen Nebenwirkungen entsprechend zu. Leider hat "mein" denerviertes Spenderherz keine richtig funktionierende Pulsregelung mehr. Der Ruhepuls liegt ohne Schrittmacher bei 40 bpm und bei körperlicher Belastung geht der Puls auch nicht nach oben. Der implantierte Pacemaker übernimmt jetzt zu 100% die Regelung (gesteuert durch Bewegungssensoren) und versucht, den Pulsschlag einigermaßen meiner tatsächlichen Belastung anzupassen. Geregelt wird von 60 bis 130 bpm. Leider ist die Technik jedoch nicht perfekt: Mein Schrittmacher sitzt blöderweise unter dem rechten Schlüsselbein (normalerweise wird auf der linken Seite implantiert, aber da liegen bei mir "Kabelreste" im Gefäß) und wenn ich den rechten Arm schnell bewege (z. Bsp. beim Zähneputzen) meint das Gerät, der Puls müsse auch entsprechend schneller werden. Das bedeutet, dass ich mir immer mit einem 130er Puls die Zähne putze und wenn ich damit aufhöre, geht der Puls innerhalb von wenigen Sekunden auf 60 bpm herunter. Umgekehrt ist es leider so, dass der Puls nicht adäquat hoch geht wenn ich den Oberkörper ruhig halte, aber zeitgleich kräftig am Radeln bin oder schnell gehe. Also muss ich bei Belastung immer den Oberkörper oder den rechten Arm ordentlich mitbewegen, sonst kommt der Kreislauf nicht in Schwung. Irgendwie ein seltsames und irritierendes Gefühl. Naja, es ist wie es ist - Hauptsache, das Herz schlägt!
Juni 2022
Ich habe ja nicht mehr daran geglaubt, aber meine Nieren haben sich etwas erholt! Sie arbeiten zwar nicht optimal (das werden sie sehr wahrscheinlich auch nicht mehr), aber die Nephrologen entscheiden, dass ich nicht mehr dialysepflichtig bin - der Demers-Dialysekatheter wird nach einem halben Jahr operativ entfernt. Für mich ist das Freiheit pur und eine deutlich verbesserte Lebensqualität - ich bin unheimlich froh darüber!
Juli 2022
Es ist immer noch unklar, ob ich eine Abstoßungs-Reaktion habe! Die Herzmuskel-Biopsien im März und im Mai ergaben wiederholt eine Abstoßung Grad 1 (nach der Grad 2-Abstoßung im Dezember). Bereits seit einem halben Jahr lebe ich nun mit der Ungewissheit und einer stark erhöhten Immunsuppression. Die Nebenwirkungen einiger Medikamente machen mich fix und fertig und nahezu schlaflos und dank 10 mg Kortison bleibt mir mein Hamstergesicht vorerst erhalten. Physisch wie psychisch ist es seit Monaten eine echte Belastung für mich und die nächste Kontrollbiopsie ist erst für Ende September im Rahmen der 1-Jahres-Kontrolle geplant. Heftig sind die Muskelschmerzen und HWS-Probleme, sowie die schmerzhaften Polyneuropathien, die ich seit Längerem habe. Gehen fällt schwer und das Kälte- und Wärmeempfinden ist gestört. Bald gibt es Termine beim Neurologen und Rheumatologen. Dennoch habe ich das Gefühl, dass es mir langsam besser geht: Ich bin sogar schon einige kleine Runden mit dem Fahrrad gefahren und habe etwas Muskulatur aufgebaut.
Ende August 2022
Die 1-Jahres-Kontrolle nach der Transplantation wurde glücklicherweise auf mein Drängen hin um einen Monat vorgezogen - ich hatte die Ungewissheit und die Medikamenten-Nebenwirkungen wirklich nicht mehr ausgehalten. Es gab einen Haufen Untersuchungen und einen sehr schönen Biopsie-Befund des Herzens: Momentan gibt es keine Abstoßungsreaktion! Das ist die beste und wichtigste Nachricht seit Monaten! Die Pumpleistung des Spenderherzens ist recht gut, der rechte Ventrikel bekanntermaßen vergrößert und zwei der vier Herzklappen sind undicht. Eine eigene Pulsregelung habe ich leider immer noch nicht, das übernimmt vollständig der implantierte Schrittmacher. Mit den anderen Befunden und Werten waren die Mediziner eigentlich zufrieden bis auf die sehr schlechten Leberwerte, die immer noch ordentlich eingeschränkte Nierenleistung, die mittlerweile stark fortgeschrittene Osteoporose (kein Wunder nach 25 Jahren Kortisonkonsum) und die schmerzhafte und sehr irritierende Polyneuropathie. Es ist nicht alles perfekt und das wird es nie sein, aber ich freue mich gerade wie Bolle! Jetzt wurden die Immunsuppressiva und zwei weitere Medikamente etwas reduziert, sowie zwei Wirkstoffe ganz abgesetzt, weil ich (hoffentlich) auch kein Vorhofflimmern mehr habe. Ich benötige momentan nur noch 13 verschiedene Medikamente verpackt in 22 Tabletten. Die Richtung meiner Entwicklung stimmt allmählich!
Ende September 2022
Das erste Jahr mit dem Spenderherz liegt hinter mir! In Absprache mit dem Herzzentrum hatte ich die Intervalle für die Blutkontrollen auf über zwei Wochen gestreckt und so konnten Andrea und ich tatsächlich eine schöne Reise mit dem Camper machen.
Wir verbrachten den ersten Jahrestag in Schweden! Und das auch noch mit mehr als 30.000 Kranichen am Hornborgasjön und in Kvismaren - zwei der großen schwedischen Kranich-Hotspots zur Zugzeit! Ich war relativ fit und genoss die Tour sehr. Trotz ordentlicher Nerven- und Muskelschmerzen gab es sogar längere Wanderungen im Storre Mosse Nationalpark und im kleinen Norra Kvill Nationalpark. Ein absolutes Highlight war für mich als "Orni" der massive Vogelzug südlich von Malmö mit mehr als einer halben Million Zugvögel (offizielle Zählung der Vogelwarte Falsterbo) an einem einzigen Tag genau an unserem Beobachtungsplatz.
Wer hätte im Sommer 2021 gedacht, dass ich das alles dieses Jahr erleben werde? Wir jedenfalls nicht...